Artikel aus der Braunschweiger Zeitung vom 27.01.2012:
Abschied von Bomberjacke und Springerstiefel – Neonazis sind nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen
Die Rechnung war mal so einfach: Springerstiefel+Bomberjacke+Glatze = Neonazi. Che Guevara und Palästinensertücher hingegen konnten eindeutig der linksgerichteten Szene zugeordnet werden. Diese Zeiten sind vorbei. Über die äußerliche Annäherung der Rechten an die Linken sprach Katja Dartsch mit zwei Mitgliedern des Antifaschistischen Plenums Braunschweig. Ihren Namen wollten sie nicht nennen, auch ein Foto lehnten sie ab – mit dem Verweis auf ihre „persönlichen Sicherheit“.
Bei ihrer Versammlung vergangenen Sommer am Braunschweiger Hauptbahnhof trugen die Neonazis schwarze Kapuzenpullis, Sonnenbrillen, Irokesenschnitte – und sahen damit den linken Gegendemonstranten im autonomen Block zum Verwechseln ähnlich. Was ist das für eine Entwicklung? Dieser Trend wurde vor etwa zwölf Jahren gesetzt. Die rechtsextreme Kameradschaft Tor in Berlin kopierte ganz bewusst das Erscheinungsbild der linken Szene. Hintergrund war das Bestreben, im linksgeprägten Viertel Frankfurter Tor nicht aufzufallen und nicht angefeindet zu werden. Ihre Gesinnung wurde nicht auf den ersten Blick deutlich. Dann merkten die Rechten, dass der Modestil die Jugendlichen anspricht, ihnen gefiel das Straßenkämpfer-Image.
Und das war das Ende von Springerstiefeln und Bomberjacke? Naja, dieser Look war eigentlich nur für ein paar Jahre in den 80ern/90ern führend in der Szene. Auch damals hatten die Neonazis sich den Kleidungsstil einer Subkultur zu eigen gemacht: den der Skinheads aus East London. In dem Arbeiterviertel wuchsen weiße Kinder mit Einwanderern unter anderem aus Jamaika auf, die Straßengangs hörten Reggae und Ska. Erst später wurde das Wort Skinhead synonym für Neonazi genutzt – zu Unrecht. Der Kleidungsstil hatte den Rechten einfach gut gefallen – eine Bomberjacke verschafft ja dem dünnsten Hänfling ein breites Kreuz. Dieser Style war aber leicht zu dämonisieren. Inzwischen bedienen sich Neonazis der Elemente anderer Subkulturen – aktuell beispielsweise der Skater- und Hardcore-Punkszene. Rechte, die aussehen, als gehörten sie der linksautonomen Szene an: Ist es nicht absurd, ausgerechnet das Aussehen der politischen Gegner zu kopieren? Auch in der rechten Szene ist diese Bewegung umstritten. Es gibt ja viele verschiedene Strömungen. Grob unterscheiden kann man in die traditionellen und die autonomen Nationalisten. Letztere sind bekannt dafür, dass sie Polizisten und Gegendemonstranten auch auf offener Straße angreifen. Sie tragen bevorzugt schwarze Kleidung, Sonnenbrille, Baseballcaps und sogar Palästinensertücher und Shirts mit Che-Guevara- Konterfei.
Aber was haben die Rechten ausgerechnet mit dem marxistischen Rebellenführer gemein? Sie instrumentalisieren populäre Elemente für ihre Ideologie. Nach dem Motto: Che Guevara – heute wäre er einer von uns. Mit den Palästinensern solidarisieren sie sich wegen ihrer antisemitischen Haltung. Sie übernehmen also Ausdrucksformen, Aussehen, Aktionen – ihre Inhalte aber bleiben die alten.
Wie aber sind nun Rechte von Linken äußerlich zu unterscheiden? Kaum noch. Auch wir, die die Szene gut kennen, haben unsere Schwierigkeiten, wenn wir außerhalb der Region unterwegs sind. Auf den ersten Blick können wir es nicht erkennen, erst beim genaueren Hinsehen, anhand von abgewandelten Symbolen zum Beispiel. Bei den Rechten trägt Che keinen roten Stern auf der Mütze, sondern ein weißes Keltenkreuz. Auch sonst gibt es noch typische Symbole der Nazis – wie die Zahl 88, die für Heil Hitler steht, oder die offene Jacke über einem Lonsdale-Shirt, so dass vom Schriftzug nur die Buchstaben NSDA zu sehen sind. Aber die Faschisten am Aussehen zu erkennen, ist schwierig geworden – deshalb muss man umso mehr auf die Inhalte achten.