taz: Demo vor dem Gruselkeller der Polizei

taz vom 30.06.2011:

In Braunschweig formiert sich Protest gegen Übergriffe der Polizei. Die dokumentiert ihr sonderbares Verhältnis zur Gewalt mit eigenwilligem Humor, streitet die aktuellen Vorwürfe jedoch ab. VON TERESA HAVLICEK

BRAUNSCHWEIG | Die Fronten sind klar bei der Kundgebung gegen Polizeigewalt am Mittwochnachmittag vor der Polizeidirektion Braunschweig. Auf dem Bürgersteig vor der Schill-Kaserne stehen rund 40 DemonstrantInnen, hinter einer Schranke etwa zehn PolizistInnen, die Arme vor der Brust verschränkt. Argwöhnisch beäugen sie die Frauen und Männer, die mit Kreide „Folterinstitut“ und „Prügeltruppe“ auf die Pflastersteine schreiben.

Gekommen sind sie, um eine Frau und vier Männer zu unterstützen, die hier in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni in Polizeigewahrsam waren. Sie berichten von Schlägen und Tritten, Beleidigungen, gewaltsamem Entkleiden, erzwungenen Blutabnahmen und einer Wohnungsdurchsuchung ohne richterlichen Beschluss (taz berichtete).

Karl Schmidt* war als Erster in Gewahrsam genommen worden. Verletzungen am Daumen, Wunden an den Knien, Beulen an Stirn und Jochbein habe er sich nach seiner Nacht in der Polizeidirektion ärztlich attestieren lassen, sagt er. Er zeigt dicke Blutkrusten an seinen Knien und einen Einstich am Arm. „Abschaum“ hätten die Polizisten ihn genannt und gedroht: „Wenn du nicht kooperierst, brechen wir dir den Arm oder machen dir die Hoden ab.“

Schmidt war vergangene Woche Zeuge einer Personalienüberprüfung in der Braunschweiger Weststadt geworden. „Was bei der Kontrolle passiert“ habe er wissen wollen. Daraufhin sei er festgenommen worden. Schmidts FreundInnen erkundigten sich bei der Polizeidirektion nach ihm. Man habe sie warten lassen, sagen sie. „Polizeistaat“ malten sie mit Kreide auf den Boden – und wurden prompt auch einkassiert.

Polizeisprecher Joachim Grande hatte die Vorwürfe gegenüber der taz zunächst als „Blödsinn“ bezeichnet. Davon ist er mittlerweile abgerückt. „Wir werden nichts vertuschen“, sagt er. Bereitwillig zeigt er den Flur des Gewahrsams im Keller der Polizeidirektion. Bilder hängen an der Wand: Ein Gefangener, gefesselt auf einer Zellenpritsche. Daneben, säuberlich gerahmt, eine Delle in der Wand, unter der steht: „Kopfstoß gleich kopflos“. Da habe vermutlich ein Gefangener seinen Schädel vor die Wand gehauen, erklärt Grande. Warum die Delle immer noch da ist? Um die zu entfernen, brauche es Geld von der öffentlichen Hand, meint er. „Für Spachtelmasse.“

Weil er einem Platzverweis nicht folgte und seine Personalien nicht angeben wollte, habe die Polizei Schmidt vor einer Woche in Gewahrsam genommen. Unter „Gefahrenabwehr-Gesichtspunkten“. Leibesvisitationen, Blutentnahmen und Fixierungen gebe es durchaus im Polizeigewahrsam, sagt er. Eine Wohnung sei in jener Nacht allerdings nicht durchsucht worden. An der Türschwelle der Wohnung, in der Schmidt zu Gast war, hätten sich die Polizisten Schmidts Ausweis und Schuhe geben lassen, sagt Grande.

Wegen der Misshandlungs- und Beleidigungs-Vorwürfe verweist Grande an die Staatsanwaltschaft. Die ermittelt inzwischen gegen Karl Schmidt – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter Körperverletzung und Beleidigung. „Renitent“ sei er gewesen, so ein Sprecher. Gegen drei seiner FreundInnen wird auch ermittelt – wegen Hausfriedensbruchs und Widerstands.

„Das habe ich so noch nie erlebt“, sagt Rechtsanwältin Britta Eder, die einen von Karl Schmidts Freunden vertritt, über das Vorgehen der Polizei in jener Nacht. Erst nach Stunden habe sie Auskunft über ihren Mandanten erhalten. „Die Polizei hat sich in keiner Weise um Deeskalation bemüht“, sagt Eder.

Die Linksfraktion fordert in einer Anfrage an die Landesregierung Aufklärung über den Vorfall. Wenn sich die Vorwürfe nur ansatzweise bestätigen, sagt ihre Braunschweiger Abgeordnete Ursula Weisser-Roelle, „ist das ein Skandal, der personelle Folgen haben muss“. Der Ratsherr der Bürgerinitiative Braunschweig (BIBS) Peter Rosenbaum hat bei der Kundgebung am Mittwoch eine Stellungnahme von Polizeipräsident Harry Döring gefordert. Nicht zuletzt die Bildergalerie im Flur des Gewahrsams sei „ein Indiz, dass dort was gehörig aus der Hand läuft“. (* Name geändert)


Kein Einzelfall

Die jüngsten Berichte über Missstände im Braunschweiger Polizeigewahrsam sind kein Einzelfall. Beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist eine Beschwerde der Umweltaktivistin Cecile Lecomte, genannt Eichhörnchen, über die Haftbedingungen. In vorbeugendem Langzeitgewahrsamwar Lecomte dort während der Castortransporte 2008 für dreieinhalb Tage. Sie berichtet von ausländerfeindlichen Sprüchen und männlichen Polizeibeamten, die sie zum Toilettengang begleiteten. Tag und Nachtbrannte das Neonlicht in Lecomtes Gewahrsams-Zelle, täglich hatte sie eine halbe Stunde Ausgang an der frischen Luft – mit Handfesseln.

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