- Erneut enden Anzeigen der Polizei gegen Anti-Bragida-Demonstrant*innen in Einstellungen und Freisprüchen
- In dutzenden Verfahren konnten bereits Einstellungen und Freisprüche erreicht werden
In den vergangenen Wochen kam es vor dem Amtsgericht Braunschweig zu drei weiteren Verhandlungen gegen Antifaschisten, die bei Protesten gegen die montäglichen „Spaziergänge“ der rassistischen Gruppierung „Braunschweiger gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Bragida) von der Polizei festgenommen wurden. Mit den Vorwürfen wegen Körperverletzung, Widerstand, Nötigung und Beleidigung sollte ihnen der Prozess gemacht werden.
Mit Stand vom 28.06.2016 teilte die Stadt auf Anfrage der Linken, SPD, den Grünen, der BIBS,der CDU und der Piratenpartei mit, dass noch 67 Bußgeldverfahren anhängig sind. Darin nicht erwähnt sind die zahlreichen Strafverfahren wegen angeblicher Körperverletzungen, Widerstandshandlungen, versuchter Gefangenenbefreiung, Landfriedensbruch, Beleidigung und einigem mehr. In über 35 Verfahren konnten Einstellungen und Freisprüche erreicht werden.
Sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft verfolgen mit ihrem Vorgehen das Ziel, Gegendemonstrant*innen einzuschüchtern und zu zermürben. Dort wo sie in ihrem Vorgehen dann doch mal von Gerichten die Grenzen aufgezeigt kriegen, wird versucht, mit Ordnungswidrigkeitsanzeigen den Gegendemonstrant*innen das Leben schwer zu machen. Die zum Schutz der montäglichen Umzüge von Rassistinnen und Rassisten, Sympathisierenden der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ und anderen Faschisten abgestellte Polizei sieht vorrangig das Problem in den Gegenprotesten. Dies bekräftigte der Leiter des Staatsschutzes in Braunschweig in einer Radio-Reportage des NDR. Die überzogenen Einsätze der Polizei und die Kriminalisierungsversuche durch die Justiz haben aber nicht zu einem Rückgang der Proteste geführt. Hierfür ist vielmehr die von Bragida selbstverschuldete Bedeutungslosigkeit verantwortlich.
Die drei Verfahren sind nur die jüngsten Beispiele einer Reihe von Prozessen, die gegen Anti-Bragida-Demonstrant*innen von Polizei und Staatsanwaltschaft mit viel Kreativität und Fantasie angestrengt wurden und noch werden. So wurden Gegendemonstrant*innen wegen des Gebrauchs von Trillerpfeifen, „zu hoch“ gehaltenen Transparenten oder dem Nutzen von Taschenlampen von der Polizei kontrolliert, drangsaliert, festgenommen und angezeigt. Die gleichen Handlungen auf Seiten der Bragida-Faschisten waren der Polizei selten ein Eingreifen wert. Vielmehr machte sie es sich zur Aufgabe, Journalist*innen mit dem Vorwurf, diese würden „provozieren“, auf Abstand zu den rassistischen Auftritten zu halten. Während die Polizei so auf der Straße unter Ausblendung bestehender Rechtslagen und mit überzogenen Einsätzen Journalist*innen an der Arbeit hindert und gegen Antifaschist*innen vorgeht, versucht sie im Nachgang unter Aufbringung aller geistigen Kapazitäten Anzeigen wegen Körperverletzungen, Widerstand und vielem mehr herbeizukonstruieren. Die Staatsanwaltschaft folgt dem sehr bereitwillig und vertritt die von der Polizei gemachten Angaben zum Hergang vor Gericht. Das Vorgehen von Polizei und Justiz zeigt den konsequenten Verfolgungswillen gegen antifaschistische Strukturen und Proteste. Keine Vorwurfskonstruktion ist zu abwegig, keine Beweislage erscheint zu dünn, um daraus ein Verfahren zur Anklage zu bringen.
Das überzogene Vorgehen der Polizei und das Konstruieren von Anklagen durch die Staatsanwaltschaft in Braunschweig beschränkt sich dabei nicht allein auf die Proteste gegen Bragida. Es ist genauso bei Aktionen, die sich bspw. gegen die AfD oder die Naziorganisation „Junge Nationaldemokraten“ richten, zu beobachten. Auch handelt es sich hier nicht um ein auf Braunschweig beschränktes Vorgehen, sondern ist bundesweit zu vermerken.
So bezog sich der Prozess vom 12.10.2016 auf die Räumung einer Sitzblockade gegen den Bragida-Umzug im Mai 2015. Damals hatten sich knapp 30 Gegendemonstrant*innen auf die geplante Route begeben und bildeten eine kleine Sitzblockade. Die Polizei räumte die meist jugendlichen Gegendemonstrant*innen u.a. unter der Anwendung von Schmerzgriffen von der Straße. Nicht zuletzt weil das Landgericht in Braunschweig am 09.09.2015 (13 Qs 171/15) die Räumung der Sitzblockade als rechtswidrig einstufte, wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft, gegen alle Sitzblockierer*innen Verfahren wegen Nötigung zu eröffnen, abgelehnt. Trotz dieser Ausgangslage kam es dann am 12.10.2016 zum Prozess gegen einen Antifaschisten wegen Körperverletzung, Widerstand, Nötigung und Beleidigung vor dem Amtsgericht Braunschweig. Von den geladenen Zeugen der Polizei wurde dann letztlich nur einer gehört, der auf den gezeigten Videos zum vermeintlichen Tathergang die gemachten Vorwürfe nicht mehr erkennen konnte oder wollte. Die vermeintliche Beleidigung eines Polizeibeamten sah das Gericht allerdings nach wie vor als gegeben an und konnte sich so nur zur einer Einstellung gegen die Geldauflage von 200,-€ durchringen.
Am folgenden Freitag, den 14.10.2016 wurde vor dem Amtsgericht gegen einen Antifaschisten u.a. wegen Körperverletzung verhandelt. Er soll im Rahmen einer Blockade gegen einen Bragida-Umzug im April 2015 einen Polizisten verletzt haben. Bragida lud für diesen Tag Lutz Bachmann (Pegida; Dresden) als Redner nach Braunschweig. Zahlreiche Menschen bildeten auf verschiedenen Teilen der Route Sitzblockaden. Die Polizei räumte eine dieser Sitzblockaden im Bereich der Jasperallee auf brutale Art und Weise. Das bei dem Prozess gezeigte Video zeigte dann auch keine Körperverletzungs- oder Widerstandshandlungen, dafür aber wie ein Polizeibeamter dem Angeklagten ins Gesicht griff. Da die Versammlung von der Polizei fälschlicherweise nicht als solche eingestuft und somit auch hier auf rechtswidriger Grundlage geräumt wurde, musste der Antifaschist schlussendlich freigesprochen werden.
Der nun zuletzt am Donnerstag, den 03.11.2016, stattgefundene Prozess musste bereits nach kurzer Dauer vertagt werden. Ein Gegendemonstrant soll im März 2016 bei Protesten gegen Bragida einem Polizeibeamten seinen Daumen in einen „nicht geschützten Bereich“ gebohrt haben. Dies wurde von einem Polizeibeamten als „Körperverletzung“ zur Anzeige gebracht. Die Bemühungen der Staatsanwaltschaft dies vor Gericht zu bringen, wurden selbst von dem verhandelnden Richter mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Das Fehlen von Aktenteilen, die der Verteidigung fehlten bzw. deren Verbleib unklar ist, führten dann letztlich dazu, dass die Verhandlung an einem anderen Termin fortgesetzt werden wird. Auch hier zeichnet sich bereits ab, dass die Staatsanwaltschaft mit ihren Vorwürfen nicht weit kommen wird.
Eine Sprecherin des Offenen Antifa Treffens (OAT) hierzu:“Es ist bezeichnend wie engagiert die Polizei im Verfolgen von Antifaschist*innen ist und ihr keine Konstruktion als zu abwegig erscheint, um Anzeigen zu fertigen. Nicht weniger bezeichnend ist das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, dass dieses Vorgehen mitträgt und nicht in Frage stellt. Es zeigt sich, dass viele Verfahren auf wackeligen Beinen standen und stehen. Dies und die Zusammenarbeit von Angeklagten, antifaschistischen Strukturen und der Roten Hilfe e.V. führte dazu, dass bereits über 30 Straf- und Bußgeldverfahren in Freisprüchen und Einstellungen endeten. Das Kalkül der Einschüchterung ging bisher nicht auf: nach wie vor protestieren Menschen gegen die rassistischen Auftritte von Bragida und auch darüber hinaus stellen wir uns weiter Nazis, Rassistinnen und Rassisten und jenen, die ihnen helfen, in den Weg.“
Antifaschistisches Plenum Braunschweig
04.11.2016 Braunschweig